Inaktivitätsödem

Von | 15. Mai 2019

Die Behandlung von Schwellungen unter erschwerten Bedingungen

Immobile Patientin im Rollstuhl

Venöses und lymphatisches System arbeiten beim Flüssigkeitstransport im Körper eng zusammen. In den Beinen ist der Transport eine besondere Herausforderung, weil der Druck in den Beinvenen aufgrund der Wassersäule hoch ist und sich die Gefässe weit weg vom Herzen befinden. Normalerweise unterstützt die Muskelpumpe das Venen- und Lymphsystem. Bei immobilen Personen z.B. bei Lähmung oder Bettlägerigkeit, fällt dieser wichtige Pumpmechanismus weg. Sie leiden deshalb häufig an Schwellungen. Wie man diese behandelt, weshalb die Therapie anders aussieht als bei mobilen Personen und welche Hilfsmittel den Betroffenen ein Stück Freiheit zurückgeben erfahren Sie hier.

Wenn fehlende Bewegung zu Schwellungen führt

Der venöse Rückfluss wird durch verschiedene Mechanismen gewährleistet, die zusammenarbeiten.

  • Die Muskelpumpe presst die Venen bei jeder Bewegung aus.
  • Die Pulswelle in den Arterien wird durch die enge Verbindung der Gefässe in die Venen weitergeleitet.
  • Die Sogwirkung des rechten Herzvorhofs treibt den venösen Blutfluss an.
  • Der Druckabfall in den Venen aufgrund der Atembewegung führt zu einem Sog.

Bei immobilen Personen fällt mit der Muskelpumpe, ein wichtiger Antriebsmechanismus der venösen Durchblutung weg. Bei Rollstuhlfahrern oder älteren Personen die den ganzen Tag im Sitzen verbringen, wird der Druck in den Gefässen durch die aufrecht sitzende Haltung erhöht. Die Kompensation durch gelegentliche Bewegung fehlt aber. Bettlägerige Patienten sind aufgrund der horizontalen Körperhaltung seltener von Inaktivitätsödemen betroffen.

Der Flüssigkeitstransport im Körper

Blutkreislauf und Lymphsystem arbeiten eng zusammen. Aus den arteriellen Kapillaren tritt Flüssigkeit mit darin gelösten Nährstoffen in den Zwischenzellraum (Interstitium) aus. Der grösste Teil dieser Flüssigkeit wird von den venösen Kapillaren wieder aufgenommen. Etwa 10% der Flüssigkeit müssen vom Lymphsystem resorbiert werden, weil die darin gelösten Zelltrümmer und Proteine zu gross sind, um von den Venenkapillaren aufgenommen zu werden. Diese Flüssigkeit wird als lymphpflichtige Last bezeichnet.

Bei fehlender Pumpaktivität der Muskeln erhöht sich der Druck in den Gefässen, sodass mehr Flüssigkeit ins Gewebe austritt. Der Abtransport der interstitiellen Flüssigkeit ist erschwert, was auf Dauer das Lymphsystem überlastet. Es kommt zu Schwellungen.

Die KPE – wirkungsvolle Entstauung

Das Grundkonzept zur Behandlung des Inaktivitätsödems sieht gleich aus wie bei einem Lymphödem. Die komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE) reduziert Schwellungen und hilft den entstauten Zustand zu erhalten. Der speziellen Situation von inaktiven Personen muss aber Rücksicht getragen werden. Häufig geht die eingeschränkte Beweglichkeit mit einer gestörten Sensibilität einher, was besondere Vorsichtsmassnahmen bei der Kompressionstherapie erfordert.

Kompressionsstrümpfe oder adaptive Klett-Bandagen

Klettbandage mit adaptiver Kompression

Eine Klettbandage lässt sich optimal anpassen und ist einfach in der Anwendung

Kompressionsstrümpfe begünstigen die Funktion der Venen und Lymphgefässe. Der Abfluss wird gefördert und Schwellungen reduziert. Sind die Beine stark geschwollen, darf aber kein Kompressionsstrumpf angepasst werden. Hier muss zuerst eine intensive Entstauungsphase erfolgen. Während dieser Zeit werden die Beine entweder mit einem gepolsterten lymphologischen Kompressionsverband eingebunden oder einfacher, mit einer adaptiven Klettbandage versorgt. Die Klettbandagen bieten den Vorteil, dass sie vom Betroffenen oder eine nicht medizinische ausgebildeten Hilfsperson angelegt werden können. Ausserdem ist die regelmässige Kontrolle der Haut problemlos möglich, was die Sicherheit erhöht.

Die richtigen Kompressionsstrümpfe bei Inaktivitätsödem

Viele Geschäfte bieten nur hochelastische Kompressionsstrümpfe in der Klasse 2 an, welche für Personen mit Inaktivitätsödem gänzlich ungeeignet sind. Einschnürungen und Wunden aufgrund falsch gewählter Kompressionsstrümpfe sind deshalb relativ häufig anzutreffen. Diese Punkte sollten bei der Verordnung resp. beim Kauf von medizinischen Kompressionsstrümpfen für inaktive Personen berücksichtigt werden.

  1. Hohe Stiffness: Bei Schwellungen sind immer Kompressionsstrümpfe mit hoher Stiffness (geringe Elastizität) zu wählen. Das gilt für mobile wie immobile Patienten. Bei inaktiven Personen ist aber besonders darauf zu achten. Ob ein rundgestrickter Strumpf mit hoher Stiffness (z.B. Juzo Dynamic, Venosan 7002, mediven forte) oder ein flachgestrickter Strumpf (z.B. Juzo Expert, VenoTrain curaflow) besser geeignet ist, hängt von der individuellen Situation ab.
  2. Geringer Ruhedruck: Zur Behandlung des Inaktivitätsödems sollte stets ein niedriger Ruhedruck gewählt werden. Die hohe Stiffness garantiert das, sofern die Strümpfe richtig und nicht mit Massen „auf Zug“ abgemessen wurden. Sind neben dem Inaktivitätsödem Erkrankungen wie eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (ABI >0,5, Knöchelarteriendruck >60 mmHg) oder eine Neuropathie vorhanden, ist die Kompressionsklasse 1 besser geeignet als die Klasse 2.
  3. Kniestrümpfe bevorzugen: Bei sitzenden Personen bieten Kniekompressionsstrümpfe (AD) in den meisten Fällen eine ausreichende Wirkung. Sie haben zudem den Vorteil, dass es in der Kniekehle keine Einschnürungen gibt (bei weichem Gewebe allenfalls Haftrand wählen) und am Oberschenkel kein Haftrand liegt, der Druckstellen verursachen könnte. Die AD Variante ist auch deutlich einfacher anzuziehen als längere Strümpfe.

Anziehhilfe verwenden

Das Anziehen von Kompressionsstrümpfen erfordert eine gewisse Kraft und Beweglichkeit. Gerade bei inaktiven Personen ist die Therapietreue gering, weil das Anziehen zu viel Mühe bereitet. Egal ob die Strümpfe selbständig, vom Partner oder von einer Assistenzperson angelegt werden, eine Anziehhilfe erleichtert das Handling und schont die Haut beim Anziehen. Finden Sie bei uns die perfekte Anziehhilfe für Kompressionsstrümpfe!

Intermittierende pneumatische Kompression

Therapie mit Lymphdrainage Gerät VASOprime
Die Therapie mit einem Lymphdrainage-Gerät (VASOprime) ist angenehm und effizient

Die intermittierende pneumatische Kompressionstherapie (IPK) wird auch als apparative Lymphdrainage bezeichnet. Sie fördert die Entstauung von Ödemen durch Kompression. Bei mehrkammerigen Systemen wie dem VASOprime wave 4, wird ausserdem eine Wechseldruckmassage erzeugt. Diese Massage kann man sich wie eine Art Muskelpumpe von aussen vorstellen. Gerade bei immobilen Personen sollte die IPK als Teil der KPE eingesetzt werden, weil so die fehlende Bewegung der Muskelpumpe ein Stück weit kompensiert wird.

So ist die IPK bei Sensibilitätsstörungen sicher

Die IPK kann sensorische Störungen bei Hemiplegie reduzieren. Eine sensorische Störung ist also keine Kontraindikation für die IPK. Dennoch sollten gewisse Vorsichtsmassnahmen getroffen werden.

  • Weiche Kleidung tragen: Unter der Manschette muss weiche Kleidung, möglichst ohne Nähte getragen werden. Gut geeignet um Druckstellen zu verhindern sind Schlauchverbände.
  • Extremität regelmässig überprüfen: Gerade bei den ersten Anwendungen sollte die Therapie in regelmässigen Abständen unterbrochen werden um die Extremität auf Druckstellen zu untersuchen.
  • Geringe Drücke anwenden: Die IPK ist schon bei geringen Drücken von 20 oder 40 mmHg wirkungsvoll. Bei Sensibilitätsstörungen sollte ein niedriger Druck gewählt werden. Befragen Sie vor der ersten Anwendung auch Ihren behandelnden Arzt.

Lymphdrainage

Massage und Lymphdrainage
Lymphdrainage und Massagen regen die Zirkulation an und helfen Schwellungen zu reduzieren.

Neben der Kompressionstherapie ist die Lymphdrainage eine tragende Säule der KPE. Durch die sanfte Massage wird der Lymphabfluss angeregt. Wichtig ist, dass nach der Lymphdrainage Kompressionsstrümpfe, Klettbandagen oder eine Verband angelegt werden, um ein erneutes Anschwellen zu verhindern.

Mobilisation

Bewegung ist ein Teil der KPE. Wichtig ist es, bettlägerige Patienten so früh wie möglich zu mobilisieren.

Jede Art von Bewegung unterstützt den Abbau von Schwellungen

Auch bei Personen mit bleibender Lähmung darf die Bewegung nicht vernachlässigt werden. Eine speziell geschulte Physiotherapeutin kann helfen, die noch vorhandenen Bewegungsmöglichkeiten vollständig auszuschöpfen und die Beweglichkeit zu verbessern.

Hautpflege

Bei Schwellungen ist die Versorgung der Haut eingeschränkt. Ausserdem können Kompressionsstrümpfe das Problem von trockener Haut zusätzlich verstärken. Eine gute Hautpflege beugt trockene, schuppige Haut vor. So lässt sich die Barrierewirkung der Haut unterstützen, damit Infektionen möglichst keine Chance haben.


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